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Gutes tun

Galater 6,10:

Lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.

Vor einiger Zeit fragte mich mein Freund Joscha, ob ich denn mal wieder Gottesdienstvertretung machen möchte, und und ich sagte ihm zu. Ich dachte, ich bereite mich auf lange Sicht vor, und überlegte mir einen Bibelvers, der in einfachen Worten die christliche Botschaft enthält, ein Wort, das ich mir zwischendrin vor Augen führen kann, in einer Arbeitspause, auf der Fahrt, und auch sonst zwischendrin.

Lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“

Wenn ich es recht bedenke, über diesen Vers braucht man eigentlich gar nichts mehr zu sagen. Der ist klar. Das sollen wir tun. Das ist christlich. Und das tue ich ja sowieso – und damit könnte die Predigt eigentlich hier schon zu Ende sein.

Aber ich möchte euch erzählen, was ich mit diesem Vers erlebt habe.

Es fing mit diesem Gedanken an: Wenn ich über diesen Text predige, möchte ich mich prüfen, ob ich mich selber wirklich daran halte.

Von Mahatma Gandhi erzählt man, daß ein Vater mit seinem Sohn zu ihm kam, und ihn bat, er solle seinen Sohn mahnen, er solle nicht mehr so viel Zucker essen. Gandhi entgegnete: Komm in einer Woche wieder! Als sie nach einer Woche wiederkamen, mahnte er den Jungen, er solle nicht mehr so viel Zucker essen. Der Vater fragte: Warum hast du das nicht schon vor einer Woche gesagt? Gandhi: Ich mußte mir erst das Zuckeressen abgewöhnen.

Gutes tun fängt in den Gedanken an. Wie oft denke ich daran, Gutes zu tun? Da gab es neulich Ärger mit dem Vermieter. - Vermieter sind eine besondere Kategorie von Menschen, die versuchen, einen hinzuhalten, und nach Möglichkeit nichts zu tun. Vielleicht habt ihr einen besseren Vermieter als ich, das mag sein. - Was mir in bezug auf mich auffiel, war, daß meine Gedanken ständig um ihn kreisten. Ist dieser Kerl es denn wert, daß mehr an ihn gedacht wird als an andere Menschen? Als an meine Nächsten, meine Familie und meine Freunde? Nun, man muß sich natürlich wehren. Aber trotzdem: Es ist erstaunlich, wie sehr die Gedanken und Gefühle festgehalten werden durch einen, der einen geärgert hat, und es führt einen weg von dem was Paulus sagt: „Lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“

Es stellt sich heraus, daß doch mehr in diesem Wort steckt, als auf den ersten Blick zu sehen war. Paulus kannte seine Galater, und er wußte, daß es ihnen genau so ging, wie mir. Diese Mahnung, kurz vor dem Ende des Briefes, ist wichtig. Es fällt mir ein, daß er ein Stück vorher sagt: Oh, ihr unverständigen Galater, habe ich euch denn nicht gesagt, worauf es ankommt? Tja, ich bin auch ein Galater, und lasse mich leicht ablenken.

Dabei gebe ich mir doch Mühe! Und es das ist auch wirklich ganz blöd. Wie konnte mir das nur passieren? Es ist so einfach zu durchschauen, und ich falle darauf herein! Also, für jeden zornigen Gedanken muß ich einen guten denken. Für jeden Gedanken an einen Menschen, den ich nicht mag, muß ich an jemanden denken, den ich mag, und dem ich etwas Gutes tun will. Das ist die richtige Ausrichtung! Ein Bild kann man nicht wegschieben, man muß es durch ein anderes, ein stärkeres, ersetzen.

Nur, so richtig hat das auch nicht funktioniert. Ich halte dagegen, indem ich an meine Lieben denke, an einen Freund. Das tue ich - und kaum habe ich aufgehört, und denke an was anderes, oder eigentlich an gar nichts, taucht der alte Ärgergedanke, den ich ersetzen wollte, wieder auf.

Das ergibt ein merkwürdiges mieses Gefühl. Ich bin unzufrieden mit mir selbst, ungeduldig, wieso klappt das denn nicht? Ich will es doch richtig machen, und, wie auch immer ich es versuche, es klappt nicht! Was bin ich denn für einer? Ich mag mich nicht!

Merkwürdig, da bin ich ausgegangen von dem Gedanken, wie tue ich Gutes, und das Ergebnis ist, daß ich mit mir selber schimpfe, und mit mir selber uneins bin! Das war nun wirklich nicht das Ziel. Es nützt auch niemandem, am allerwenigsten mir selber. Ich verbrauche damit genau die seelische Energie, die ich dafür benutzen wollte, Gutes zu tun!

Gutes tun ist ja gar nicht einfach! Was alles passieren kann, bloß wenn man darüber nachdenkt! Und wenn, wie ich festgestellt habe, schon das Denken an das gute Tun seine Tücken hat, dann mit Sicherheit auch das gute Tun selber.

Wenn ich etwas Gutes tue, muß es auch wirklich gut sein. Gut gemeint reicht nicht. Man kann ja auch, wie eine Redewendung sagt, „zuviel des Guten“ tun. Es war wirklich gut, es war überlegt, es war richtig, aber es war zuviel, es hat meinen Nächsten überfordert, und war darum schlecht. Noch eine Falle.

Auch wenn ich schenke, muß ich sehr gut nachdenken, und meine Freunde, meine Lieben genau kennen, damit das Geschenk Freude bereitet, und keinen Ärger. Das Geschenk zu besorgen, oder zu basteln, ist zwar auch nicht einfach, aber noch lange nicht so schwierig, wie die richtige Idee zu finden!

Du liebe Güte! Wenn Gutes tun so schwierig ist, ist es denn überhaupt zu schaffen? So gesehen klingen die Worte, die Paulus an die Galater schreibt, anders: „Lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“ So gesehen ist es eine Ermunterung, versucht's weiter, es ist zu schaffen, mit Gottes Hilfe werdet ihr es wirklich erreichen. Und am ehesten gelingt es, wenn wir bei den Menschen anfangen, die es uns leicht machen, ihnen Gutes zu tun, bei unseren Nächsten, bei den Glaubensgenossen.

Lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“

Erstaunlich! Ein so kurzer Satz – und was er mir alles zu sagen hat! Und nun vermute ich, daß noch mehr dahinter steckt.

Bei den Menschen soll ich anfangen, die es mir leicht machen, ihnen Gutes zu tun, nicht bei den Fernsten, bei den Nächsten muß ich anfangen.

Auf die Reihenfolge kommt es an. Und diese Reihenfolge kann man weiterführen. Mir selber muß ich Gutes tun, damit ich anderen Gutes tun kann. Jesus sagte doch: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Mit mir selber muß ich im Reinen sein, sonst tue ich den anderen das an, was ich mir selber antue. Das ist so vertrackt, daß ich es oft selber gar nicht bemerke. - Aber wenn ich mit mir selber im Reinen bin, und mir Gutes tue, werde ich den anderen auch Gutes tun.

Und die Reihenfolge geht noch weiter. Das habt ihr, glaube ich, auch schon vermutet. Ich kann mich darum lieben, weil Gott mich liebt. Gott liebt mich, obwohl ich so ein Galater bin. Natürlich: Er hat mich doch geschaffen, und er hat selber Gutes mit mir vor. Daß mich Gott liebt, das ist die Energie, die in mir die Fähigkeit bewirkt, Gutes zu tun! Und dieser Gedanke, dieses Bild, diese Wirklichkeit ist tatsächlich stärker, und kann alles andere vertreiben: Gott liebt mich.

Auf die Liebe kommt es an. Paulus schreibt ein Kapitel vorher, Kapitel 5, Vers 6: „In Christus Jesus gilt ... der Glaube, der durch die Liebe tätig ist“. Hier steht im griechischen Text ein interessantes Wort: „Pistis di agapen energoumene“. Das heißt, er spricht vom Glauben, das ist „pistis“, der durch die Liebe, die „agape“, Energie bekommt. „Erga“, das sind die Taten. En-ergie, das ist die Kraft, aus der die Taten kommen. – Da haben wir die Antwort auf die grundlegende Frage: „Was ist es, was die Welt im Innersten zusammenhält?“ Ganz klar, es ist die Liebe. Die Liebe Gottes.

Also, die richtige Reihenfolge ist:

  1. Gott liebt mich, und tut mir Gutes.

  2. Ich tue mir Gutes. Und ich quäle mich nicht damit, daß es immer wieder nicht gelingt, anderen Gutes zu tun. Auch zu mir muß ich gut sein, so wie Gott mir gut ist.

  3. Drittens ergibt sich daraus von selber, daß ich meinem Nächsten Gutes tue, weil ich mich von Gott geliebt weiß.

  4. Und schließlich viertens: Alle anderen werden von dieser Liebe profitieren. Von da ausgehend werde ich allen anderen Menschen auch Gutes tun.

Nun gibt es in dieser Reihenfolge sogar noch einen fünften Punkt. Römer 12,14 sagt Paulus: „Segnet, die euch verfolgen. Segnet, und fluchet nicht“. Das bedeutet, wir sollen auch unsere Feinde lieben.

Das sind fünf Stufen der geistigen Reife. Und nun ist die Frage: Wo befinde ich mich? Wie weit bin ich in meinem Herzen gereift, wie gut kann ich das: Lieben. Oder in den Worten unseres Textes, wie gut kann ich das: Gutes tun?

Es gibt in unserer Sprache eine schöne Redewendung: „Liebe üben“. Das meint also Paulus auch, wenn er sagt: „Lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“

Liebe muß ich also üben. Am Ende seines Briefes sagt Paulus mir: Das sollst du üben, um ein christliches Leben zu führen. Es ist nicht die Rede von Verliebtheit, die überkommt einen. Liebe ist eine Aufgabe, denn sie steht im Zusammenhang mit dem guten Tun. Und daß das nicht so einfach ist, wie es auf den ersten Blick aussieht, das haben wir gesehen.

Wie übe ich das? Interessant: Die Kraft, Liebe zu üben, kommt aus der Liebe selbst, aus Gottes Liebe zu jedem einzelnen von uns. Daraus, daß Gott mich liebt.

Gottes Liebe ist so groß, daß alle Menschen darin Platz haben. Nun ziehe ich einen Vergleich: Wie viele Menschen haben in meinem Herzen Platz? Da habe ich mal nachgezählt. Bis wieviel ich gezählt habe, werde ich euch nicht verraten. Nur eines, was ich festgestellt habe, sage ich euch: Meinen Feind lieben, das kann ich nicht.

Nun aber glaube ich nicht, daß es darauf ankommt, daß ich gleich auf der höchsten Stufe bin. Es kommt darauf an, daß ich im Herzen wachse, daß mein Herz wächst.

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Da habe ich nun einen Bibelvers mit auf meinen täglichen Weg genommen, und habe dabei im Herzen etwas gelernt. Im Kopf habe ich das natürlich gewußt, das ist keine Frage, ich habe doch schließlich Theologie studiert – aber dennoch mußte ich mir das erneut klarmachen: Gott liebt mich.

Ich werde nun nicht mit mir schimpfen – den Fehler kennen wir – sondern nach dem Grund suchen. Ich glaube, der Unterschied kommt daher, weil Verstand und Herz verschieden reagieren. Was ich mit dem Kopf, dem Verstand, begriffen habe, hat sich darum noch lange nicht im Herzen festgesetzt. Das Herz braucht die Wiederholung. Denken tue ich mit dem Verstand, einmal kapiert ist kapiert – und nun meint der Verstand, während er über die Seele nachdenkt, die Seele wäre wie er selber.

Es ist wie Nahrung zu sich nehmen. Im Herzen brauche ich immer wieder die gleiche Bestätigung: Gott liebt mich. Und auch diese: Ich bin gut zu mir, so wie mir Gott gut ist. Wenn meine Seele diese Nahrung bekommt, dann kann ich anfangen, Gutes zu tun, an den Glaubensgenossen, und dann an jedermann.

Wenn das Herz Nahrung bekommt, dann kann es wachsen.

Stellt euch mal vor, man könnte in die Vergangenheit reisen, und ich könnte mit dem reden, der ich früher einmal war. Faszinierend, nicht wahr? Das ist aber wirklich möglich, in der Vorstellung. Ich kann in der Vorstellung dem begegnen, der ich mal war, und mir vorstellen, wie ich mit dem, der ich mal war, reden würde.

Nun bin ich in der Zwischenzeit klüger geworden, ich habe einen Schritt nach vorne getan. Mit dem, der ich war, bevor ich diesen Schritt getan habe, werde ich freundlich sein, weil ich eben weiß, daß die Freundlichkeit Gottes mir geholfen hat, diesen Schritt weiter zu kommen. Ich liebe mich, obwohl ich ein Galater bin. Ich liebe mich, so wie ich bin, und ich liebe mich, so wie ich war. Weder war ich dumm, weil ich das vorher nicht gewußt habe, noch bin ich jetzt blitzgescheit, weil ich es weiß.

Gut zu mir sein, das geht also auf zwei Arten: Gut sein zu mir, der ich gerade bin, und gut sein zu dem, der ich einmal war.

Ich bin nun nicht alle 5 Reifheitsstufen durch, ich bin jetzt erst bei der zweiten gewesen, und fange mit der dritten erst richtig an – und es ist zu vermuten, nein es ist sicher, daß es in jeder Stufe noch eine Menge zu entdecken gibt, wenn ich sehe, wie ich mich fühle, wenn ich es versuche, und wie es gelingt, bzw. wie der Weg bis zum Gelingen aussieht. Mit Gottes Hilfe.

Lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“ - Am Anfang schien es, als sei kaum etwas darüber zu sagen, jetzt frage ich mich, wie lange es wohl braucht, um alles zu begreifen, was dieser eine kurze Satz zu sagen hat. - Es ist eine Lebensaufgabe!

Wie weit mich dieses Bibelwort noch führen will! Und ich stehe noch immer irgendwo am Anfang. Wie weit das Herz doch wachsen kann, daß immer mehr Menschen in ihm Platz haben. Ja, die Liebe kann ein Herz so groß wachsen lassen, daß nicht nur die Nächsten, die Glaubensgenossen darin Platz haben, sondern alle Menschen, denen ich begegne, und selbst so groß, daß auch die Feinde darin einen Platz finden.

So weit, liebe Freunde, bin ich nicht, und ich weiß nicht, ob ich jemals so weit sein werde. Seine Feinde lieben, das konnte Mahatma Gandhi, das konnte Dietrich Bonhoeuffer, Jesus konnte es.

Ich aber halte mich lieber an das Wort von Paulus: „Lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“. Das was ich kann, tue ich, und gehe in meiner geistigen Entwicklung von der Stelle weiter, an der ich mich befinde.

Martin Buber schreibt in seinem Buch „Die Erzählungen der Chassidim“, (S 394):
Vor seinem Ende sprach Rabbi Sussja: „In der kommenden Welt wird man mich nicht fragen: 'Warum bist du nicht Mose gewesen?' Man wird mich fragen: 'Warum bist du nicht Sussja gewesen?'“

Es ist unglaublich, zu welchen Gedanken mich dieser kurze Bibelvers geführt hat! Es ist wie eine Tür, die den Weg zum Evangelium öffnet: „O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis! Wie unbegreiflich sind Gottes Gerichte und wie unerforschlich seine Wege!“

Mich mit diesem Vers zu beschäftigen, hat mir viel gebracht. Darum kann ich euch empfehlen, sich auch mit diesen Vers zu beschäftigen.

Lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“

Amen

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